Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts von Rollstuhlfahrern

 

 

Während die Krankenkassen immer mehr dazu neigen, ihren Versicherten Hilfsmittel nicht nach dem tatsächlichen Bedarf, sondern nach dem Preis zu gewähren, erhalten zumindest Rolli-FahrerInnen eine Stärkung in ihrem Wahlrecht durch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. Dieses Urteil lässt sich sicher auch auf andere Hilfsmittel übertragen.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) entschied im September 2022, dass dem Wunsch- und Wahlrecht von Behinderten bei der Hilfsmittelversorgung weiterhin Raum zu gewähren ist.

49-jähriger Rollstuhlfahrer setzt sich durch

Geklagt hatte ein 49-jähriger, querschnittsgelähmter Mann, der mit einem Aktivrollstuhl nebst mechanischem Zuggerät (Handbike) versorgt war. Wegen nachlassender Kraft und zunehmenden Beschwerden in den Schultern beantragte er bei seiner Krankenkasse ein elektrisches Zuggerät.

Die Kasse lehnte den Antrag ab und bot dem Mann stattdessen einen Elektrorollstuhl an. Die Kasse befand, dass das Zuggerät zwar wünschenswert, hilfreich und sinnvoll sei. Aber es sei auch gleichzeitig eine nicht notwendige Überversorgung. Dies begründete die Kasse damit, dass die Basismobilität auch mit einem rein elektrischen Hilfsmittel gesichert werden könne, das nur etwa die Hälfte koste.

Der Mann lehnte einen Elektrorollstuhl jedoch ab, weil rein passive Fortbewegung für ihn keine adäquate Alternative sei. Selbst der Medizinische Dienst habe einen Elektrorollstuhl in seinem Falle als „Zumutung“ bewertet.

Die Selbstbestimmung eines Behinderten hat Vorrang

Anders als das Sozialgericht Oldenburg in der ersten Instanz, hat das LSG die Kasse zur Kostenübernahme verurteilt. Begründet wurde das Urteil damit, dass ein querschnittsgelähmter Versicherter nicht gegen seinen Willen auf einen rein passiven Elektrorollstuhl zur Erschließung des Nahbereichs verwiesen werden könne, wenn er lediglich eine elektrische Unterstützung benötige.
Bei der Prüfung des Anspruchs dürfe das Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs nicht zu eng gefasst werden. Dies sei aus einer grundrechtsorientierten Auslegung, den Teilhabezielen des SGB IX und der UN-Behindertenrechtskonvention abzuleiten. Dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen sei volle Wirkung zu verschaffen.

Die Leistung der Krankenkasse müsse dem Berechtigten viel Raum zur eigenverantwortlichen Gestaltung seiner Lebensumstände lassen und seine Selbstbestimmung fördern. Im Falle des Klägers widerspräche die nicht gewünschte Versorgung mit einem Elektrorollstuhl dem Selbstbestimmungsrecht des Behinderten.

Hinweis: Sie können das Urteil unter dem folgenden Link herunterladen: AZ: L 16 KR 421/21